Ob Wahrheit eine Frage des politischen oder weltanschaulichen Standpunkts ist, wird gegenwärtig wieder intensiv diskutiert. Denn allen, die etwas von der Generierung politischer Macht verstehen, ist klar: Wer die Hegemonie im politischen Diskurs erringt, kann beeinflussen, was als wahr gilt. Nicht nur in der Frage nach einer normativen Wahrheit steckt politisch-intellektuelle Brisanz. Auch über die deskriptive Wahrheit von Fakten wird neu gestritten.
Heute wird gerne behauptet, dass wir in einem postfaktischen Zeitalter lebten und dies den Niedergang der Demokratie bedeute. In der Tat: Die Verbindlichkeit eines rationalen Diskurses wird neuerdings als Hegemonie von linksliberalen Leitmedien und Universitäten bekämpft.
Ein besonders drastisches Beispiel dafür lieferte die Trump-Administration: Nachdem Sean Spicer als Pressesprecher des Weißen Hauses behauptete, US-Präsident Trump sei 2017 vor einer Rekordkulisse vereidigt worden, widerlegten Luftbilder und Zahlen der Verkehrsbetriebe diese Aussage. Daraufhin erläuterte Trumps Beraterin Kellyanne Conway im TV-Interview, Spicer habe sich nicht etwa geirrt oder gelogen, sondern „alternative facts“ dargestellt.
Aber halten wir einen Moment inne. Wann gab es je eine Gesellschaft, in der nicht über Fakten gestritten wurde und diese dreist geleugnet oder umgedeutet wurden? Und leben wir heute in einer Zeit, in der dies qualitativ und quantitativ zunimmt?
Schließlich die Grundsatzfrage: Welches Maß an tiefgreifendem Dissens über Wahrheit und Wirklichkeit verträgt eine Demokratie? Welches Maß muss sie ertragen? Und was muss geschehen, damit die Demokratie der Wahrheit dient?
Der Philosoph Rainer Forst spricht über diese Fragen, die auf das Wesen politischer Macht als „noumenaler Macht“ verweisen und darauf, dass die Demokratie auf einem „Recht auf Rechtfertigung“ beruht, das auf normative und deskriptive Wahrheiten abzielt.
Mit:
- Rainer Forst, Professor für Politische Theorie und Philosophie, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Hintergrund
In welcher Welt leben wir? So banal es klingt, es gehört zum Schwierigsten, Abstand zu gewinnen – auf die Höhe zu gehen – um das eigene Jetzt klarer zu sehen. Von A wie Authentizität über D wie Drastik, J wie Jugend, ewige bis R wie Resonanz und Z wie Zombie. Hier geht es zum Videoarchiv der Reihe "Auf der Höhe - Diagnosen zur Zeit": https://www.boell.de/de/auf-der-hoehe-diagnosen-zur-zeit
Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist nicht notwendig.
Kontakt:
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In Medienpartnerschaft mit taz und der Freitag.
Foto: Audrey Fretz / Unsplash
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