NENA „OLDSCHOOL“ - Keine Zukunft ohne Vergangenheit
Sich mit der Vergangenheit aufzuhalten ist nicht NENAs Ding. „Gestern, das liegt mir nicht,“ singt sie schon 1984 in ihrem Song „Fragezeichen“ vom gleichnamigen Album.
Jetzt, 30 Jahre später, nennt sie ihr neues Album ausgerechnet OLDSCHOOL. Und katapultiert sich und die Hörer mit einer Punktlandung in die Gegenwart.
„Oldschool“, der Titeltrack, ist auch der Opener des Albums und gleich eine klare Ansage. Mit einem Augenzwinkern skandiert sie jetzt: „Mein erstes Album ist seit 34 Jahren draußen, es ist so alt man kann’s nicht einmal mehr im Laden kaufen“. Dazu ein fetter Electro-Beat, den man so von Nena noch nie gehört hat. Straight from the 80s, mitten ins Jetzt.
Den ungewohnten Beat hat ihr ein neuer Partner in Crime zusammengeschraubt - kein geringerer als Samy Deluxe hat NENAs neue Platte produziert. NENA, das Aushängeschild der deutschen New-Wave-Szene, und Samy Deluxe, das Deutschrap-Wunderkind. Klingt ja fast wie ausgedacht.
Aber so was denkt sich keiner aus, schon gar nicht NENA. So was entsteht von alleine, oldschool eben. Das wurde nicht gemacht, das ist gewachsen. Schicksal könnte man auch dazu sagen, und wäre damit gleich bei einem altbekannten NENA-Thema, das auch auf dieser Platte wieder eine Rolle spielt.
„Wenn die Zeit reif ist für ein neues Album, dann lasse ich mich voll und ganz drauf ein. Ich überlege nie vorher, in welche Richtung es gehen soll, ich mach einfach,“ sagt NENA über ihre Art zu arbeiten. Herz ist hier das Stichwort. So war es eben auch mit Samy Deluxe.
2012, ein paar Tage nachdem NENA und Samy irgendwie, irgendwo, irgendwann gemeinsam auf einer Bühne gestanden hatten, rief Samy an und sagte, er habe ein paar Songideen. „Ich wusste in der Sekunde, dass das nur was Gutes sein kann,“ beschreibt NENA den Startschuss für das neue Album. Wenig später waren beide zusammen im Studio. NENA geht immer weiter - dahin, wo es weiter geht.
Samy Deluxe: „Es ist ja nicht nur so, dass Nena oldschool ist... NENA ist oldschool und immer noch voll relevant. Sie kann alles verkörpern, von Punkrock bis zu den schönsten Balladen und bleibt dabei immer authentisch.“
Auch die Art der Zusammenarbeit war dabei ganz jetzt. „Heute Computer, damals analoge Handarbeit,“ wie es in „Oldschool“ heißt. Handarbeit ist es natürlich auch heute noch, bloß muss man nicht unbedingt die ganze Zeit im selben Raum sein, um gemeinsam Neues schaffen zu können. Das wäre auch schwierig geworden, denn wenn NENA morgens um 6 aufsteht, um mit ihren Hunden in den Wald zu gehen, geht Samy oft gerade erst ins Bett. „Schichtarbeit auf Herzebene“ nennt NENA diesen Prozess.
Dass Musikmachen für NENA eine Herzensangelegenheit ist, ist eh klar. NENA ist dabei selbst so sehr Musikfan, dass sie darüber vergisst, was für eine Legende sie selber ist. Als Blondie im Sommer 2014 im Berliner Tempodrom spielten, wollte NENA das auf keinen Fall verpassen. Über gemeinsame Bekannte war sie plötzlich mit der ganzen Band zum Essen verabredet - in so einem Moment ist auch eine NENA aufgeregt wie ein kleines Kind. Und dann kapierte Debbie Harry, wer da mit am Tisch saß: „Wow, you‘re Nena!“ rief die New Yorker Punk-Legende aus und bestätigte, was wir eigentlich längst schon alle wissen. NENA ist keine Geschmacksfrage, NENA
ist ein großes Stück deutsche Popkultur.
Der rote Faden, der sich durch das Album zieht, ist Zeit. Wie steht NENA in der Zeit, wie kann man loslassen und im selben Moment umarmen. Das Lied „Bruder“ erzählt von ihrem verstorbenen Sohn Christopher und davon, dass der Tod zum Leben gehört. „Alles was mich fordert und lenkt, wurde mir vom Himmel geschenkt“.
Auch die basslastige Pop-Hymne „Genau jetzt“ handelt vom Umgang mit der Zeit, genauer davon, stets im Moment zu sein. „Vielleicht ist es zu früh, vielleicht ist es zu spät, vielleicht ist es genau jetzt,“ denn „was morgen kommt, weiß keiner“.
Dass sie trotz all dem Im-Moment-Sein ihre Wurzeln nicht vergisst, zeigt sich in der ersten Single zum Album. „Lieder von früher“ lautet der Titel, in dem NENA erzählt, was mit ihr passiert, wenn sie die alten Platten aus dem Schrank holt „Tanz im Licht vom Strobo, quer durch unsere Wohnung, mach das Haus zur Disco, jeder Song ein Ohrwurm“ heißt es darin und man freut sich schon darauf, sie dazu mit der Gitarre um den Hals auf der Bühne rumspringen zu sehen. Was sie zur Albumveröffentlichung auch tun wird, und zwar auf einer knackigen Clubtour durch frühere Stationen. Der Mojo-Club in Hamburg ist u.a. dabei, das Berliner SO 36, das Frankfurter Batschkapp und zu ihrer besonderen Freude wird NENA auch in der Aula ihrer alten Grundschule in Hagen spielen. „Mal sehen, vielleicht schließt sich da ja ein Kreis für mich und ich kann endlich mit meiner nicht so gelungenen Grundschulzeit Frieden machen,“ lacht NENA, als sie davon erzählt. Am meisten freut sie sich aber darauf, auf dieser exklusiven Tour durch kleine Clubs mit ihren Fans auf Tuchfühlung zu gehen, ihnen in die Augen zu gucken und jede Nacht oldschoolmäßig den Punk abgehen zu lassen. Bei Club-Kapazitäten von 199 bis höchstens 799 Besuchern für Nena-Fans garantiert ein unvergessliches Ereignis.
Wie immer ist NENAs Band mit am Start, die sie liebevoll ihre „zweite Familie“ nennt. - Und die auch mehr und mehr zu einem wahren Familienunternehmen wird: „Wir sind eine musikfreudige Bande. Und so ist jetzt mit meiner Tochter Larissa und meinem Sohn Sakias auch mein jüngster Sohn Simeon mit auf der Bühne und wird Keyboards spielen. In unserer Familie hat jeder sein eigenes Universum, aber wir treffen uns an ganz vielen Stellen, arbeiten zusammen und tauschen uns aus.“
Ein besonderes Stück ist deshalb auch „Peter Pan“, das NENA im Duett mit Sakias singt. „Deine Welt ist bunt genug, dass sie selbst das größte Grau einfärbt. Komm berühr jetzt meinen wunden Punkt, halt mich fest bis ich auch so werd“ singen die beiden hier mehr zu- als miteinander. Und wenn Sakias sagt „Besitzt kein Konzept von Vorsicht, hast nie gelernt wie zögern geht. Neugier sitzt in der Loge, ein Herz das täglich größer wird,“ dann weiß man nicht, ob er hier tatsächlich Peter Pan meint, oder nicht doch eher seine Mutter, dieses Zauberwesen, das den Schlüssel zur Zeit versteckt zu haben scheint.
Aber NENA wäre nicht NENA, würde sie nicht auch kritische Töne anschlagen, die dazu anregen können, das eigene Leben zu hinterfragen und in die Eigenverantwortung zu gehen. „Betonblock“, „Kreis“ und „Mach doch was ich will“ etwa sind Stücke, in denen sie nicht nur textlich eine härtere Gangart einlegt.
Den größten Einfluss auf das Album hatte aber sicher Samy Deluxe. Er hat einen Zugang zu NENA, einen, der vielen von uns sehr vertraut sein dürfte. Es ist der Blick der in den Siebzigern Geborenen, die als Kind mit dem Federballschläger als Gitarre zu NENAs Musik auf dem Bett rumsprangen. Oldschool eben.
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