Gezi Parki am 28. Mai inmitten des historischen Viertels Beyoglu der Megastadt Istanbul: Niemand erwartete anfangs, dass die brutale Polizei-Repression eines friedlichen Sit-in-Protestes von einem Dutzend Aktivisten für die Rettung dieses kleinen Parks eine neue Seite der türkischen Politik öffnen würde. Jedoch sind in der Folge der Gezi-Park-Repression in einer noch nie dagewesenen Art und Weise Millionen von Menschen in verschiedenen Städten auf die Straßen gegangen, um gegen den Umgang der Regierung mit dem Problem als auch gegen den anwachsenden Autoritarismus und bloße Ankündigungspolitik generell zu protestieren.
Die konservative neoliberale AKP-Regierung sah sich völlig unvorbereitet dieser Krise gegenüber und auch die europäischen Partner – EU-Beitrittsbefürworter und –gegner – waren überrascht von der Intensität der Ereignisse am Bosporus. Nach einer einwöchigen Lähmung entschied sich die türkische Regierung für die Unterdrückung der Protest-Welle mittels íhrer altbekannten Standardoperationen, d.h. durch die Weiterführung brutaler Polizeieinsätze, durch Diffamierung der Bewegung als Çapulcu (Tagediebe) und Geheimdienstaktionen. Die rasant wachsenden Proteste kulminierten schließlich in den größten Protesten gegen die Regierung, die die Türkei seit dem Militärputsch vom 12. September 1980 erlebte.
In diesem Wochenendseminar werden die vielfältigen Facetten der Ereignisse und ihrer Folgen sowohl für die Türkei, den Nahen Osten und den Rest der Welt diskutiert. Die Referenten beleuchten die Ereignisse aus politologischer, sozial-geografischer und turkologischer Perspektive. Sie sind Experten für die Türkei und für die Umgestaltung urbanen Raumes unter neoliberaler Agenda.
Das Wochenend-Seminar gliedert sich in vier Blöcke:
Der erste Teil konzentriert sich auf die Gründe für den Ausbruch der Gezi-Proteste und die Transformation des Landes während der letzten Dekade der AKP-Mehrheits-Regierung. Darüber hinaus will er ein Licht auf die AKP-Lokal-Politik in Istanbul, sowie deren globale Marketing- und urbane Transformationspolitik werfen. Welche sozialen Umschichtungen und urbane Verdrängungsprozesse gingen den Gezi-Ereignissen voraus? Sind die Protestierer Entwicklungsverweigerer und die Stadtadministration hat nur versäumt die Transformation des Ballungsraumes Istanbul besser in die Gesellschaft hinein zu kommunizieren?
Der zweite Teil versucht die Dynamiken zu verstehen und zu erklären, die das Land zu sozialen Unruhen führte - mit einem besonderen Fokus auf den Hintergrund der Teilnehmer: Sind Aktivisten mit alewitischem Hintergrund auch in dieser Bürgerbewegung überproportional vertreten? Aus welchen Stadtteilen mit welcher Geschichte kamen die Protestierenden, welche soziale Stratifikation ist unter diesen auszumachen und wie ist die Haltung des konservativen Spektrums der Gesellschaft zu diesen? Es soll versucht werden, Gemeinsamkeiten mit anderen ähnlichen Bewegungen rund um den Globus in einer transnationalen Dimension zu betrachten.
Der dritte Teil des Seminars wirft ein Licht auf die Post-Gezi-Atmosphäre und konzentriert sich sowohl auf die Strategien von Regierung und Demonstranten als auch auf die Rezeption der Proteste in Deutschland (jeweils in deutschen, türkischen und kurdischen Segmenten unserer Gesellschaft).
Schließlich ist der letzte Teil des Seminars als offene Diskussion unter den Teilnehmenden vorgesehen. Wir möchten fragen: Was blieb von der Protestbewegung? Was wurde aus den hunderten Festgenommenen? Wie ist deren Situation und die der einzelnen Gruppen der Bewegung jetzt und welche Strafen drohen ihnen? Im Seminar nutzen wir diverses Material, wie Fotos, Zeitschriften, blogs, Musikclips und Dokumentarvideos, um die Ereignisse zu illustrieren.
Referenten:
Mieste Hotopp-Riecke
Alphan Tuncer
Gökhan Tuncer
Thomas Bürk
Veranstaltungsort:
Allmende e.V.
Kottbusser Damm 25-26
3. Etage
10967 Berlin
Seminarzeiten:
Samstag: 09.30 - 18.00 Uhr
Sonntag: 10.00 - 15.30 Uhr
Eine Anmeldung unter Angabe von Name, Adresse und Telefonnummer ist erforderlich. Anmeldeadresse: boerjesson@bildungswerk-boell.de (Inga Börjesson)
Eine Veranstaltung des Bildungswerks Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit Zweiheimisch, Institut für Integrationsforschung, Kommunikation & Analyse und dem Verein Kritische Geographie Berlin
Die Veranstaltung wird realisiert mit Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin.
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